Montag, 3. Oktober 2011
Sonntagmorgens
Bei uns gehe sonntagmorgens immer ich Brötchen und Croissants holen. Immer.
Und mittlerweile ist es nicht mehr mein fast manisches Verlangen nach morgendlicher Frischluft und einem kleinen Spaziergang durch menschenleere Straßen, das mich vor die Türe treibt. Nein, es ist Madame Pistolet, die auf mich eine magische Anziehungskraft ausübt.
Ich kann mich noch gut erinnern als ich zum ersten Mal ihre traumschöne Bäckerei betrat. Der Laden sieht aus, wie man das aus Filmen kennt, die im gutbürgerlichen Teil von Paris spielen. Alte, riesige Fenster aus geschliffenem Glas, eine Türe, die beim Öffnen zarte Klingeltöne erzeugt, Pralinen und Gebäckstücke in der Auslage, die wie Kunstwerke aussehen und ebenso angeordnet sind.
Madam Pistolet selbst ist viel zu groß für eine Französin, hat aber sehr feine Hände, ein edles Gesicht. Dazu einen Dutt und eine Brille, durch die jeden Käufer einen strenger, fast spöttischer Blick trifft. Ich hatte beim ersten Mal zwei "petit pain" (Brötchen) bestellt. Ein Blick mit hochgezogenen Augenbrauen statt einer Antwort war die Reaktion. Vielleicht hatte ich ja genuschelt, deshalb wiederholte ich sicherheitshalber meine Bitte und packte all mein Wissen über die korrekte französische Aussprache in diesen Satz. Aber die vornehme Bäckerin senkte kurz seufzend den Kopf zu Boden, sah mich dann autoritätseinflößend an und sagte sehr akzentuiert: "Vous voudriez DEUX PI-STO-LET"(sprich pistole). Gedanklich war ich kurz davor ihr zu entgegnen, dass ich Pazifistin durch und durch bin und wirklich überhaupt keinen Bedarf an Schusswaffen habe .... aber in Wirklichkeit nickte ich schuldbewusst und war auch ein bisschen erleichtert, als sie tatsächlich zwei Brötchen in die Papiertüte beförderte. Die Croissant-Bestellung lief dann ebenfalls eher problematisch ab. Sie sagte, sie habe keine mehr, aber etwas anderes, das so ähnlich sei, ob ich das wolle. Ehrlich gesagt, hätte ich in diesem Moment auch zwei Sack Kartoffeln gekauft...
Mittlerweile weiß ich, dass jeder Kunde bei ihr die harte Schule des "Ich geb hier die Regeln vor" durchlaufen muss. So beuge ich mich in hungriger Ergebenheit dem Kommando der Madame, bestelle Pistolen statt Brötchen, beschreiben das gewünschte Baguette bis ins kleinste Detail, eile, um auf ihren Wunsch die Türe zu schließen ... und fühle mich danach seltsam erheitert, gestärkt und geadelt :-) ... sonntagmorgens in Brüssel ...
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