Freitag, 30. April 2010

Sprachschwierigkeiten

In Belgien ist die Regierung zusammengebrochen. Genauso gut könnte man wahrscheinlich mittlerweile feststellen: Im Winter ist es kälter als im Sommer. Nichts Überraschendes also. Etwas, das in aller Regelmäßigkeit passiert. Etwas, das nicht schön ist, aber auch nicht im Entferntesten lebensbedrohlich.

Auslöser für die aktuelle Krise ist im Grunde wie immer ein Streit zwischen den Flamen und den Wallonen. In diesem Falle geht es um das Wahlrecht im Wahlkreis BHV (= Brussels-Halle-Vilvoorde). Dieser entspricht nicht der generellen Aufteilung Belgiens in flämisches, wallonisches und Brüssler Gebiet. Der BHV ist regionenübergreifend. Zu ihm zählen die zweisprachige Region Brüssel-Hauptstadt und über 30 flämische Kommunen. Das bedeutet dann zum Beispiel, dass frankophone Parteien (bei Europa- oder Parlamentswahlen) Stimmen von Wählern in Flandern bekommen können, während das andersrum nicht möglich ist. Und es bedeutet, dass französisch sprchende Brüssler in den Außenbezirken sprachliche Sonderrechte in einigen Gemeinden Flanderns genießen, beispielsweise im Schulbereich. Und das führt und führte seit Jahren zu Streit, zu Abspanltungsbewegungen

Ich will dieses sehr koplexe Thema an dieser Stelle gar nicht weiter aufdröseln - nur feststellen, dass ich den Sprachmischmasch hier im Alltag als etwas sehr Hilfreiches und Schönes empfinde. Irgendwie versteht man sich immer. Kann kommunizieren. Meist in Sprachversatzstücken. Aber mit Ergebnissen.
Das befriedigt keine National- (oder diesem Falle Regional-)interessen. Ist mir klar. Aber kann und muss das das einzige Ziel sein? Ist Belgien nicht vielleicht ein Präzedenzfall euröpäischer Entwicklungen? So sieht es auch der Soziologe und Philosoph Geert Van Istendael und formulierte: "L'Europe sera belge ou ne sera pas" - Europa wird belgisch werden oder untergehen. Mit ersterem könnte ich gut leben.

Surrealismus

Man könnte meinen, ich hätte das Schreiben eingestellt. Das ist nicht der Fall. Ich bin nur viel auf Möbelsuche und habe es deshalb etwas hinten angestellt. Aber eigentlich lassen sich diese beiden Sachen ja gut verbinden, denn wer in Brüssel nach Möbeln sucht, wird höchstwahrscheinlich immer auch im Quartier des Marolles landen und über die vielen Antiquitäten und skurilen Neuheiten staunen. Mindestens ebenso viele kuriose Geschichten scheinen sich über dieses Viertel erzählen zu lassen.

Ursprünglich außerhalb der Stadtmauern des mittelalterlichen Brüssels gelegen, war das Quartier des Marolles schon immer ein Ort derer, die nicht richtig dazu gehören - weil sie keine gesellschaftliche Stellung haben, aus einem anderen Land kommen oder schlicht zu schlecht verdienen. Eine Mischung, die zu kuriosen Produkten führt und führte. Da mag es nicht verwundern, dass hier beispielsweise die Legende gibt, René Magritte habe mit Künstlerkollegen in einer Kneipe im Quartier des Marolles, den Surrealismus begründet. In der Kunstgeschichte ist das offiziell so nicht vermerkt. Aber wer erfährt, dass diese Kneipe vor kurzem renoviert und weiß gestrichen wurde, um ihr gleich im Anschluss wieder einen nikotingelben Anstrich zu verleihen, damit alles wieder authentisch wirkt, der mag daran nicht gänzlich zweifeln.

Die Beschreibung des Surrealismus von André Breton (1924) passt für mich jedenfalls auf fast nichts so gut wie auf Brüssel : „Ich glaube an die künftige Auflösung dieser scheinbar so gegensätzlichen Zustände von Traum und Wirklichkeit in einer Art absoluter Realität, wenn man so sagen kann: Surrealität.“

Oder wie will man einen Elefant auf einem Dach(oder einer Dachterasse mit Ufos?), der nur aus dem Hinterhoffenster eines Möbelladens sichtbar ist, sonst gedanklich einordnen?

Samstag, 24. April 2010

Drogenbos

Verbrecher müsste man sein in Brüssel.
Oder Polizist.
Beide scheinen hier ein relativ angenehmes Arbeitsleben zu führen.
Die ersteren, weil sie es - vermutlich durch den Handel mit illegalen Rauschmitteln - scheinbar zu einem stattlichen Anwesen gebracht haben und in einem Château wohnen.
Und die zweite Gruppe kann zur Verbrechensbekämpfung einfach mit den öffentlichen Verkehrsmitteln direkt zum Einsatzort fahren. Wie praktisch:



Naja, okay: natürlich handelt es sich bei Drogenbos Château nicht um eine rechtswidrige Behausung, sondern um das Schloss der Gemeinde Drogenbos in der Nähe von Brüssel. Selbiges dient dem Bügergmeister dort als Verwaltungssitz. Hat alles also seine Ordnung in Flämisch-Brabant. Recherchiert man nun aber weiter, dann komt man ganz schnell darauf, dass der Bürgermeister Alexis Calmeyn in Klammern als "Drogenbos Plus" bezeichnet wird ... Stoff genug für einen Brüssel-Krimi, meine ich.

Freitag, 23. April 2010

Undercover

Wahrscheinlich kann man sich in Brüssel gar nicht auf den ersten Blick verlieben.
Warum?
Naja, man bräuchte dafür im originären Sinne des Wortes einen Blickkontakt. Den kann es aber erst mal nicht geben, denn in dieser Stadt ist vieles schlicht nicht gleich sichtbar. Geht man die Straßen entlang, fühlt man sich manchmal in die ausgehenden 70er/80er-Jahre zurückversetzt. Nicht in dem Sinne, dass es retro&hip wäre, sondern in dem, dass es leider alt&schäbbig ist.
ABER: wenn man dann hinter die Fassade schaut (und das hat sich ja im Leben und in der Liebe bisher noch nie als völlig überflüssig herausgestellt) dann befindet sich innen ein schickes Restaurant, ein Laden voller Köstlichkeiten oder ein Geschäft mit Stoffen, wie man sie aus Märchen zu kennen glaubt. Es liegen hier manchmal nur ein paar Schritte zwischen Müllbergen und zauberhaften Plätzen, zwischen Abrissbirne und beeindruckenden Jugendstil-Häusern, zwischen lieblos-vergammelt und liebevoll-gestaltet.

Und ich finde es aufregend herauszufinden, was jeweils die verborgene, schönere Seite ist. Deshalb habe ich mich bei folgendem Anblick gefragt, ob ich mir die Reise nach Andalusien im letzten Jahr hätte sparen können ;-)

Samstag, 17. April 2010

Supermarktyoga


Die einen nehmen Yoga-Unterricht.
Die anderen gehen in einem belgischen Supermarkt einkaufen.
Zu den letzteren gehöre derzeit ich.

Es ist nicht so, das in den hiesigen Läden die Yoga-Matten ausgerollte werden oder alle Kunden die Angebote der Woche mit dem Sonnengruß begrüßen. Aber wenn man hier nach dem Rundgang durch das Reich des Lucius Licinius Lucullus (* 117 v. Chr., † 56 v. Chr.; ein römischer Senator und Feldherr, der allerdings vor allem durch seine grandiosen Gastmähler in Erinnerng geblieben ist) den Kassenbereich erreicht hat, dann muss man sich - aus Deutschland oder einem stressigen Job kommend - ganz auf seine Mitte komzentrieren, unheimlich ruhig atmen und am besten für eine halbe Stunde die Augen schließen. Wenn man das nicht tut, kann man (als einen Art Meditation) beobachen, wie die Kundin, die momentan den Platz an der Kasse inne hat, zigtausend Gutschein-Special-Offer-Coupons aus der Tasche zieht (einzeln, na klar), denn mithilfe dieser ausgeschnittenen Papierzettel füllt der belgische Supermarktgast sein Bonuspunktekonto. Es ist eine sehr geschwindigkeitsentbehrende, fast rituelle Handlung. Die Kassiererin (als Zeremonienmeisterin des Supermarktyogas) gutiert die Übergabe der Zettel mit einem milden Lächeln und legt selbige ebenso sorgfältig, wie sie der Kundentasche entnommen wurden, in ihre Kassenschublade. Es scheint die Weitergabe positiver Energie in Reinform zu sein. Und die ist nun mal mit der herrschenden Vorstellung von Zeit schwer zu reglementieren.

Ich konnte noch nicht in Erfahrung bringen, was man macht, wenn man es eilig hat - wahrscheinlich geht man dann einfach nicht in den Supermarkt. Aber natürlich bin ich mittlerweile im Besitz eines Bonuspunktekontos, denn schließlich will ich mich ja integrieren. Und Supermarkt ohne Bonuskonto ist wie Yoga ohne Matte - geht, aber professionell ist anders.

Mittwoch, 14. April 2010

Playlist

Ich mag Musik. Und ich brauche sie in ziemlich vielen Situationen: wenn ich dusche, wenn ich koche, wenn ich schreibe, aber vor allem, wenn ich micht fortbewege. Beim Fahrradfahren singe ich selbst (da ist man schnell wieder weg, wenn die Leute schauen), aber beim Joggen greife ich auf Musikkonserve zurück. Zur Zeit bediene ich mich der Playlist, die wir für die Abschied-aus-Deutschland-Party vor ein paar Wochen zusammengestellt haben. Ich höre Elvis' "In the Ghetto" zum Loslaufen, weil wir dann beide einen Auftrag haben. Dann Grönemeyers "Mensch", weil ich "momentan ist richtig, momentan ist gut" momentan unterstreiche. Dann Querbeet alles von ABBA bis Zappa (und das Beste von heute, klar.).


Aber heute habe ich mir dann gedacht, dass es doch schon mal ein französisches Lied sein sollte (flämisch, da war ich mir sicher, gibt die Playlist nicht her). Und ich wurde fündig: France Gall; Poupée de cire, poupée de son. Super Lied und antreibender Takt, um heiter durch den Park zu stampfen! Geschrieben hat's Serge Gainsbourg und gewonnen hat France Gall 1965 damit den Grand Prix d´Eurovision (für Luxemburg).
Zuhause angekommen hat mich natürlich interessiert, ob nicht Belgien auch eineN Grand-Prix-GewinnerIN vorzuweisen hat. Ja,tatsächlich, das ist der Fall: Sandra Kim gewann 1986 den Titel zum ersten und auch letzten Mal für Belgien. Als jüngste Interpretin ever. Habe mir gerade das Video dazu angeschaut: die perfekte Mischung aus einer jungen Stephanie von Monaco und Freddy Mercury - optisch. Das Lied "J`aime la vie" werde ich natürlich in die Playlist aufnehmen. Erstens, weil ich's tue und zweitens, weil's zum Dasein gehört ;-)

Montag, 12. April 2010

Weltfrieden

Als Neubürger einer Stadt macht man wahrscheinlich immer ähnliche Dinge. Zum Beispiel den Sehenswürdigkeiten und Wahrzeichen Guten-Tag-Sagen. Mache ich auch. Und vor Kurzem habe ich mir das Atomium angeschaut. Müsste ich Brüssel zeichnen, dann würde ich sicherlich mit diesem unverwechselbaren Kugel-Bau beginnen. Entstanden anlässlich der Expo 1958, der ersten Weltausstellung nach dem 2. Weltkrieg. Kein Turm, kein Palast, keine Skyline, sondern dieses kubisch-sphärische Etwas. Kennt man ja von unzähligen Bildern. Aber warum denn in Form eines Atoms? Atom! (Klar, das Atom an sich ist erst mal neutral und bezeichnet den kleinsten Baustein, in die sich Materie zerlegen lässt. Nun stamme ich aber ursprünglich aus einer Gegend, die mit einem alten Kernkraftwerk gesegnet war. Meine gesamte Kindheit bin ich nach der Lektüre von Büchern wie "Die Wolke" und "Die Kinder von Schewenborn" nachts aufgewacht, und dachte, dass das nächtliche Gewitter wohl nun tatsächlich der mir literarisch vertraute GAU in echt sei.)
Also, warum wählt man bitte schön ein Atom als Wahrzeichen? Oder zumindest als Aushängeschild für eine Weltausstellung, die vor dem Hintergrund des gerade überstandenen Krieges unter dem Motto "Bilanz der Welt - für eine menschlichere Welt" stand? Nun, ganz einfach: man dachte tatsächlich, dass man durch die friedliche Nutzung der Kernenergie die Welt für alle Menschen besser machen könnte. Dass der technischen als auch wissenschaftlichen Fortschritt automatisch in eine friedlichere Zukunft auf höherem Lebensniveau führen würde. Hmm, über 50 Jahre später und mit Blick auf die aktuellen Verhandlungen über weltweite, atomare Abrüstung, sollte man vielleicht die Geschichte und Bedeutung des Atomiums wieder bekannter machen. Dinge werden ja nicht richtiger, nur weil man sie immer und immer behauptet…



Die Besichtigung des Atomiums lohnt sich auf jeden Fall. Für alle, die die absurde und eigenwillige Architektur der Belgier mögen. Für alle, die futuristische Haushaltsgeräte à la Raumschiff Orion lustig finden. Für alle, die wie Gulliver durch ein 165 Milliarden Mal vergrößertes Eisenkristall klettern möchten. Ja, und auch für alle, die sich versichern möchten, dass das Anstoßen auf den Weltfrieden verglichen mit anderen Maßnahmen ein eher ungefährliches und sinnvolles Unterfangen ist.

Mittwoch, 7. April 2010

Verkehrsregeln

Ich bin zurück à Bruxelles. Und ich erwähne das so ausdrücklich, weil ich doch fast in meiner alten Heimat kleben geblieben wäre. Im wahrsten Sinne des Wortes. Und zwar auf der Straße. Warum? Na, weil ich mich schon so mit den Brüssler Verkehrsregeln vertraut gemacht habe, dass es mir schwer gefallen ist, mich auf die deutsche StVO einzulassen...

Nix verstanden? Okay: ich erzähle die ganze Geschichte. (war absehbar, wa? ;-)) Also: als ich hier in Brüssel ankam, erklärte man mir, dass man mit meinem Respekt vor der Straße hier nicht weit käme. Ich solle all meine Grundschulkenntnisse über Bord werfen und die einzelnen Streifen des Straßenzebras erklimmen ohne auch nur im Geringsten auf den um mich tobenden Verkehr zu achten. Es hätten schließlich alle die gleichen Rechte: Autofahrer und Fußgänger. Man soll also einfach die Straße betreten, das Auto hält dann schon. Sagt der Erfahrungswert. Richtig einfach war das Spiel dann nicht für mich - schließlich verfüge ich weder über Airbag und Stoßstange, noch reicht mein Fatalismus aus, um ohne Angstschweiß und Herzrasen von der einen Bordsteinkante zur gegenüberliegenden zu gelangen. Aber der Mensch ist ein Gewohnheitstier. Und so kam es, wie es kommen musste: zurück in Deutschland erklärte ich meine individuelle Erdumlaufbahn als gegeben und als zu beachten. Ich überquerte in der Brüssler Selbstverständlichkeit die Straße - wahrscheinlich kann ich das sich anschließende Hupkonzert nicht als Applaus und Wohlwollen werten...

Ich finde es wirklich erstaunlich, wie der Straßenverkehr die Länder und das Verhältnis Mensch und Maschine prägt. Kann natürlich nur auf meinen Urlaubserfahrungsschatz zurückgreifen, aber der ist doch schon variantenreich (aus Autofahrersicht):

- Italien: Wie? Es gibt Fußgänger? Ist doch viel zu heiß zum Laufen! Spinnen die?
- USA: Warum laufen da Leute? Ist ihr Auto kaputt?
- Vietnam: Bitte einfach auf die Straße stürzen! Ich als Mitglied des 7-spurigen Autotrosses werde mich schon drumherum orientieren und organisieren. Kein Problem, werden nur ein bisschen hupen, sonst passiert nix. (Es grenzt an ein Wunder - ist aber so)
- Brüssel: Los, laufen Sie, Madame. Ich werde Ihnen zeigen, wer hier Kavalier ist - zögere das aber des Effektes wegen bis zu letzten Sekunde hinaus. Verlassen Sie sich einfach einfach auf meine Bremsen. Sie wissen ja - hier ist alles prima organisiert und gewartet. Los, laufen Sie! Wir machen doch nur ein kleines Nervenkitzeln. Olala...

Na, das wird noch witzig, habe ich mir gedacht, als ich einen kurzen Blick in folgendes Auto erhaschen konnte...