Dienstag, 15. Februar 2011

Belgistan

Bei der ganzen Berichterstattung über die politischen Umbrüche und Regierungsabsetzungen in Nordafrika gerät derzeit leicht in Vergessenheit, dass es in einem kleinen mitteleuropäischen Land seit Monaten um die EINsetzung einer Regierung geht. Seit 247 Tagen ist Belgistan ohne Staatsregierung. Mehr hat vorher nur der Irak geschafft und ist derzeit mit 289 Tagen noch Weltranglistenerster in dieser Disziplin.
Während sich anderswo die Massen auf zentralen Plätzen versammeln, um die Regierungen aus den bequemen, fast festgewachsenen Regierungssesseln zu heben, protestierten in der Brüssler Innenstadt vor 3 Wochen mehr als 30 000 Menschen dafür, dass sich mal wieder einer - oder besser einen ausgewogene Mischung aus allen Landesteilen - in diesen Amtssitzen niederlässt. Aber nix ist passiert seit dem. Manche sagen: typisch belgisch. Stimmt - aber ebenso typisch ist es hier, sich kreative Lösungen auszudenken. Surrealistische Tradition quasi. Während ich dieses Verfahren bei Elektroreparaturen aller Art mit einem gewissen Argwohn betrachte, finde ich derzeit sehr unterhaltsam, mit welchen Mitteln der Belgier seine Politiker ihrer ureigenen Bestimmung zuführen will:
Da gibt es Leute, die lassen sich einen Bart wachsen, bis es wieder einen Regierung gibt. Das ist sozusagen belgischer Hungerstreik, denn auf Fritten, Pralinen und Filet americain kann hier auch um des Regierungsfriedens Willen keiner verzichten.
Andere fordern wiederum einen Verzicht ganz anderer Art: eine flämischen Senatorin rief alle Belgierinnen - aber insbesonders die Partnerinnen von hochrangigen belgischen Politikern - auf, so lange auf Sex zu verzichten, bis eine Regierung geformt ist.
Hmm, ich denke ja, dass sich irgendwann eine Regierung dem König zuliebe bildet. Nicht aus royalen sondern aus Fairness-Gründen. Der Arme darf nicht wie seine KollegInnen im europäischen Ausland repräsentativ vom Balkon winken, sondern muss ständig Verhandlungspartner an einen Tisch bringen. Das ist eigentlich mit dem Selbstverständnis der Feierabend und Wochenend liebenden und genussfreudigen Belgier auf Dauer nicht vereinbar. Wahrscheinlich sucht man nur noch nach der surrealistischsten aller Lösungen. Bin ja mal gespannt, wie die aussieht.

1 Kommentar:

  1. Hey "B", ich lese grad ganz viel ganz gern und zum ersten mal auch einen Blog per se länger; hielt das bislang ja für überkandideltes Sichzuwichtignehmen...aber nein, vieles regt mich zum Sinnnieren an. Man taumelt durch seine Existenz und hat zu nix Zeit, bis man zu nichts mehr Zeit hat.
    A propos "B": FB a la Bamberch fand ich sehr amüsant. Mir fiel in letzter Zeit auf, dass ich unglaublich viele B-Bands mag! In no particular order: Beatles, Black Sabbath, Bonnie Prince Billy, Byrds, Beatsteaks, Blur, Beastie Boys, Big Chief, Breeders, Buffalo Tom, Bad Religion, Beck, Billy Bragg, Bonaparte, Bad Brains, Black Crowes,etc. Faszinierend! Beste Grüße aus dem Franggenland! Mi

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